ID: 748013
Überlieferte Märchen aus Atreia, Band 6
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Dialogs:

Die Märchen-Chroniken

Band 6: Die tanzenden Kinder

Komm, mein Kind, ich will dir eine Geschichte erzählen ...

Vor vielen, vielen Jahren brach unsere Welt entzwei. Blitz und Donner zerrissen den Himmel und brachten Tod und Zerstörung über unsere Welt.

Doch das wusstest du bereits vor deiner Geburt, es wurde von Generationen von Geschichtenerzählern in deiner Psyche verwurzelt. Wir alle wissen, was an jenem Tag geschah, und dass die feigen Elyos mit ihrem irregeleiteten Glauben an ihre eigene Überlegenheit die Verantwortung dafür tragen. Wenn ich diesen Band auch nicht verfasst habe, um diese Geschichte zu erzählen ... möchte ich dennoch, dass du beim Lesen der Geschichte der tanzenden Kinder stets an die Katastrophe denkst ...





Millionen verloren durch die Katastrophe ihr Leben. Viele aber glauben, dass an jenem schicksalhaften Tag die Gefallenen die Gesegneten waren. Ihre Leben wurden in Sekundenschnelle ausgelöscht, und ihre leblosen Körper gesellten sich zu dem dahintreibenden Schutt des Abyss. Die Überlebenden andererseits waren schutzlos ihrem Schicksal ausgesetzt und drohten zu verhungern.

In der bitterkalten und unheilvollen Dunkelheit starben zunächst die Pflanzen, die so sehr auf das Licht von Aions Turm angewiesen waren. Und ohne Pflanzen wurden auch die Tiere immer schwächer ... ihr Tod war unausweichlich. Unsere Vorfahren spürten schon bald die gähnende Leere in ihren Mägen, und in ganz Asmodae sank ihre Zahl mit jedem verstreichenden Tag. Die Einwohner des Dorfes Beluslan bildeten keine Ausnahme.

Jeden Tag arbeiteten die Erwachsenen dieses kleinen Dorfes auf ihren gefrorenen Feldern, um die geringe Ernte, die in diesen widrigen Umständen überleben konnte, zu hegen und zu pflegen. Die Kinder, die für die Feldarbeit noch zu jung und schwach waren, versammelten sich auf einem kleinen Hügel, wo sie ein großes Feuer entfachten, um sich warmzuhalten. Das kleinste dieser Kinder war ein Junge namens Marcose.

Marcose war noch ein Säugling, als sein Vater starb. Und seine Mutter war, wie es jede Mutter in einer solchen Lage wäre, voller Sorge für ihren einzigen Sohn. An jedem einzelnen Tag, an dem sie auf dem Feld arbeitete, galt ihre Sorge der Sicherheit und dem Wohlergehen ihres Sohnes. Jeden Morgen legte sie ihre Hände auf seine Schultern, blickte ihm tief in die Augen und wiederholte dieselben warnenden Worte "Mein Sohn, spare deine Energie und wärme dich am Feuer, denn das ist das Wichtigste. Lasse dich niemals zum Tanzen verleiten, NIEMALS. Bitte vergiss das nicht!"





Es war jeden Tag dasselbe Schauspiel: Die Erwachsenen arbeiteten auf den Feldern, die Kinder saßen auf dem Hügel um das Feuer und sahen ihren Eltern bei der Arbeit zu, während sie sich dem tosenden Wind entgegen stemmten und ihre Augen gegen den beißenden Sand schützten.

Die Felder gaben nicht viel her, und mit jedem weiteren Tag, jeder weiteren Woche und jedem weiteren Monat wurden die Kinder immer dünner und leichter. Dennoch waren sie wie Kinder nun einmal sind: voller Leben, Energie und Leidenschaft. Es lag in ihrer Art, herumzutollen, dem Horizont entgegenzurennen, auf den höchsten Baum zu klettern, sich zu raufen, zu singen und ihrer Lebensfreude Ausdruck zu verleihen zu wollen.

Doch das konnten sie nicht. Und so langweilten sie sich ...





An einem besonders kalten Tag war es dann soweit - ein Junge namens Saul erhob sich. Es begann alles damit, dass sein zur Seite gestrichenes Haar im Wind zu tanzen schien. Es folgten seine Arme, seine Beine, und schließlich begann sein ganzer Körper zu TANZEN.

Die anderen Kinder sahen einander an, zunächst von einer gewissen Furcht erfüllt, die jedoch schnell der Aufregung und der Freude wich. Jedes der Kinder stand wegen der elterlichen Warnungen wie angewurzelt, dabei wollten sie einfach nur aufspringen und ihrem Spieldrang nachgeben.

Und so kam es auch, dass ein Kind nach dem anderen seine Hemmungen ablegte. Ein zweites Kind richtete sich auf, hakte seine Arme bei Saul ein, und begann zu tanzen. Es folgte ein drittes Kind, ein viertes, und in nur wenigen Minuten hatten alle Kinder einen Kreis gebildet und tanzten mit verschlungenen Armen einen Ringelreihen um das Feuer.

Die Kinder kicherten und tanzten, jauchzten und jubelten. Sie lachten über Marcoses Zögern und neckten ihn.

Komm und spiel mit uns, Marcose. "Es macht solchen Spaß!", sagten sie.

Doch Marcose schüttelte nur den Kopf. Er konnte die Warnungen seiner Mutter laut und deutlich in seinem Inneren nachhallen hören.

Die Kinder tanzten nun jeden Tag, und schon bald kümmerten sie sich nicht mehr um Marcose. Sie lachten und jubelten, wenn sie auf den nahe gelegenen Feldern und Hügeln herumtobten und ihrem Spieltrieb nachgaben. Ihre Eltern waren zu erschöpft, um sie aufzuhalten, zu erschöpft, um zu sehen, wie sich ihre eigenen Kinder veränderten.

Aber Marcose konnte es sehen.

Er sah, wie ihre Körper immer dünner wurden, wie ihre Haut sich spannte, während die Knochen auf ihren jungen Gesichtern immer stärker hervortraten.



So verstrich ein ganzer Monat. Ein Monat, an dessen Ende einer jener furchtbar kalten Tage kam. Marcose saß am Feuer in Decken gehüllt und spürte die Kälte kaum. Die anderen Kinder jedoch, die inzwischen federleicht geworden waren und nicht ein einziges Gramm Fett an ihren Körpern hatten, zitterten in der Kälte und weinten bitterlich.

Wie auf Kommando richteten sich alle tanzenden Kinder auf, da sie nur eine Möglichkeit kannten, sich warm zu halten. Sie nahmen sich bei den Händen und rannten auf einen der anderen Hügel zu. Doch just in dem Moment, als die Kinder eine Senke zwischen beiden Hügeln erreicht hatten, fegte eine starke Windbö durch das Dorf Beluslan.

Marcose kniff die Augen zusammen, um sie gegen den beißenden Wind zu schützen, und schlang seine Decke eng um sich. Doch trotz des tosenden Sturms konnte er hören, wie die Erwachsenen des Dorfes panisch schrien. Er wagte einen Blick in Richtung des Geschehens und musste mit ansehen, wie die ausgemergelten Kinder von den mächtigen Nordwinden in den Himmel gerissen wurden ...



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Elyos
Asmodier