ID: 748016
Legenden und Nymphen, Buch 5
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Dialogs:

Die Nymphe von der Feneis-Quelle

Es war einmal ein wunderschöner Wald namens Eiron in Eltnen, bevor die Wüste ihn verschlang. Das dichte Blattwerk und die versteckten Sonnenhaine des Eiron-Waldes boten allerlei Getier eine Heimat, von winzigen Elrok über scheue Crynac bis zu riesigen Tipoliden.

Nahezu jedes Tier, das je in Elysea gefunden wurde, hauste im Eiron-Wald. Deshalb war dieser auch ein Paradies für Jäger.





Ein solcher junger Jäger kam jeden Tag in den Wald. Aineas war ein eifriger Mann. Immer trug er saubere, gut geschneiderte Lederkleidung. Er kam früh am Morgen und lief von Hain zu Hain, um den Wald mit allen Sinnen zu genießen. Er ertrug es nicht, Lebewesen leiden zu sehen. Daher ging er nur selten in Eiron auf die Jagd und zog das Zwitschern der Vögel dem Gesang seiner Bogensehne vor. Doch er kehrte ohne Fehl jeden Tag zurück, um durch den Wald zu streifen.

Jeden Abend, wenn die Dämmerung hereinbrach, beendete er seinen Ausflug an einer klaren, abgeschiedenen Quelle - dem stillsten Ort im ganzen Eiron-Wald. Aineas trank das Quellwasser, lag summend auf dem Boden oder fiel rasch in einen tiefen Schlaf.







Nach einem besonders erschöpfenden Tag führte Aineas' Streifzug ihn an die Quelle - wie jeden Tag. Dort fiel er jedoch in einen so tiefen Schlaf, dass er erst am Morgen wieder erwachte. Das war noch nie zuvor geschehen.

Als der Morgen anbrach und das Sonnenlicht sich bemühte, die Quelle zu erreichen, betrat eine junge Maid lautlos die Lichtung, auf der Aineas schlief. Sie war in Lumpen gehüllt und trug einen schweren Eimer, doch schwerer noch war die Trauer in ihrem Gesicht. Den schlafenden Jäger nicht bemerkend, füllte sie den großen, alten Eimer mit Wasser. Sie schulterte die schwere Last und wandte sich um, um die Quelle zu verlassen.

Aineas wäre wohl nie erwacht, um sie zu sehen, wenn das Schicksal nicht eingegriffen hätte. Das Mädchen stolperte über eine Baumwurzel. Das Geräusch des fallenden Eimers auf der sonst so stillen Lichtung weckte Aineas. Das Mädchen stieß einen tiefen, traurigen Seufzer aus und griff nach dem verschütteten Eimer. Aineas' Herz wollte aufspringen und über die Lichtung eilen, um ihr die schwere Last abzunehmen, doch sein Leib war erstarrt ob der Anmut und Schönheit, die von den Lumpen und der Trauer, die das Mädchen trug, nicht gänzlich verdeckt werden konnten.

Rasch füllte das Mädchen den Eimer erneut und schulterte ihn. Sie verließ die Quelle, bevor Aineas seine Stimme oder seine Beine wiederfand.



Am nächsten Tag begab der Jäger sich nicht erst am Abend zu der Quelle, sondern schon früh am Morgen. Die Vögel schliefen noch. Er setzte sich an das Wasser. Nach kurzer Zeit erschien das Mädchen mit einem Eimer auf ihrer Schulter.

Als sie sich der Quelle näherte, lächelte er sie an und nickte ihr zu. Sie lächelte schüchtern zurück und nickte ebenfalls.

Sie füllte ihren Eimer und zögerte kurz. Als sie die Quelle mit ihrem Wasser verließ, fiel Aineas auf, dass sie etwas langsamer ging als am Tag zuvor.








Jeden Morgen wartete Aineas nun an der Quelle. Und jeden Tag blieb die Wasserträgerin etwas länger. Es war eine stillschweigende Übereinkunft.

Sie nannten einander ihre Namen - der ihre war Feneis. Manchmal teilte Aineas mit ihr das Frühstück, das er erlegt hatte. Meist aber saßen sie zusammen auf der stillen Lichtung und schwiegen.

Jeden Tag trug Aineas frische Gewänder und ein breites Grinsen im Gesicht, während Feneis stets dieselben Lumpen und dasselbe rätselhafte traurige Lächeln trug. Trotz der Gegensätze wurden sie Freunde. Doch eines Morgens betrat Aineas die Lichtung und fand Feneis weinend vor.

Feneis erzählte ihre Geschichte unter heftigem Schluchzen. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch ein junges Mädchen war. Sie wurde von ihrem Onkel und ihrer Tante aufgenommen, die ihre Nichte schuften ließen. Sie zog ihre sieben Cousins und Cousinen groß. Sie kochte und putzte und arbeitete auf dem Feld. Diese Behandlung war sie gewohnt. Die Tränen vergoss sie aus einem anderen Grund.

Am Abend zuvor hatte ihr Onkel verkündet, dass sie einen alten Witwer aus dem Nachbarsdorf heiraten müsse, dessen drei Kinder kaum jünger waren als sie.

Nachdem er ihre Geschichte angehört hatte, bereute Aineas, dass er Feneis' trauriges Lächeln so lange ignoriert hatte. Und so überredete er sie, ihn am nächsten Morgen an der Quelle zu treffen, um mit ihm davonzulaufen.





Feneis hatte wenig Besitztümer und ihr kleines Bündel war rasch gepackt. Sie verrichtete ihre täglichen Arbeiten mit einem Lächeln und konnte den Morgen kaum erwarten. Vor Aufregung schlief sie kaum. Sie traf noch vor Sonnenaufgang an der Quelle ein - noch vor Aineas.

Als der Wald um sie herum erwachte, ergriff sie eine merkwürdige Furcht. Feneis fragte sich, was ihren Freund wohl aufgehalten hatte. Sie redete sich ein, dass sich alles in Wohlgefallen auflösen würde. Schließlich brach der Abend herein und Aineas war noch immer nicht zu sehen.

Während sie auf ihn wartete, ging die Sonne noch mehrere Male auf und unter.








Feneis war erfüllt von Sorge und Trauer. Die Stille, die sie mit Aineas genossen hatte, erschien ihr nun beängstigend.

Das Quellwasser war so rein und klar, dass es einem Spiegel glich, doch Feneis konnte es nicht ertragen, ihr gequältes Antlitz zu sehen.

Einige Zeit später fanden Dorfbewohner Feneis' ausgetretene Schuhe an der Quelle. Sie schien die Lichtung nicht mehr verlassen zu haben.

Doch was war mit Aineas geschehen?

Aineas war kein gewöhnlicher Jäger. Er war ein Daeva. Und kein gewöhnlicher Daeva, sondern ein Legionär der Sturmlegion. Das Schicksal in Aineas' Leben war wankelmütig. Denn just an dem Tag, an dem er Feneis vorschlug, gemeinsam zu fliehen, stellte sein General, Deltras, einen Spähtrupp zusammen.

Aineas war einer der besten Jäger der Sturmlegion und zögerte nicht, sich Deltras' Schar anzuschließen.





Die Geschichte der Sturmlegion ist bekannt und zu lang, um sie hier wiederzugeben. Doch Aineas bezahlte seine Treue mit seinem unsterblichen Leben. Denn wie viele andere Daevas kehrte Aineas von dieser schicksalhaften Expedition nie zurück.

Manche glauben, Aineas' Geist würde noch immer umherirren und sein nicht eingelöstes Versprechen beklagen.









Noch viele Jahre lang verfiel jeder, der zu der ruhigen, sauberen Quelle im Eiron-Wald kam, in tiefe Verzweiflung - und wer zu lange blieb, der starb.

Denn die Quelle war die Heimat einer Nymphe, die junge Jäger verführte. In Lumpen gewandet war ihre Schönheit hypnotisch und unvergesslich. In dem Glauben, die Nymphe sei Feneis' Geist, nannten die Dorfbewohner die Quelle "Feneis' Quelle".

Der Wald existiert nicht mehr. Und die tragische Geschichte von Feneis und Aineas ist nur noch Erinnerung.









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